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Alpe-Adria-Trail 19

Mein letzter Tag am AAT. Ich kann es gar nicht glauben. Zumindest fängt er schon gut an. Die Bushaltestelle besitzt einen Kaffeeautomaten und der Bus kommt tatsächlich wie geplant um kurz nach 05.00 Uhr. Ich steige wieder an derselben Bushaltestelle wo ich gestern eingestiegen bin aus, und los geht's,  auf die allerletzte Etappe.  Der Weg ist nicht wirklich aufregend,  aber Aufregung brauche ich heute ohnehin keine mehr.

Ab Socerb wird der Waldweg unheimlich. Völlig verwachsen und überall liegen Kleidungsstücke,  Schuhe, Schlafsäcke und Müll herum. Dazwischen abgerissene Preisetiketten. Sieht ganz danach aus, als würden sich hier Leute herumtreiben die zwielichtig sind. Verstärkt wird das Szenario noch durch den starken Wind der durch die Bäume weht, überall knackst und raschelt es. Aber ich habe meine Phantasie ganz gut im Griff, lasse mich nicht durch meine eigenen Gedanken verrückt machen,  bleibe aber wachsam und gehe flott weiter. Im Nachhinein sehe ich, daß in diesem Waldstück wieder genau die Grenze zwischen Italien und Slowenien verläuft. Zufall? 

Ab Osp werden die Wege wieder breit und gepflegt,  mir kommen Spaziergänger und sogar eine Wanderin entgegen. Letzter größerer Anstieg für diese Reise...Tinjan. Punkt 08.00 Uhr habe ich die Anhöhe erreicht, genau zu dem Zeitpunkt fängt es zu regnen an. Unterhalb der Kirche finde ich ein gemütliches, trockenes Plätzchen. Zeit für Tramezzini und frischen Obstsalat. Der kurze Schauer ist vorbeigezogen und ich mache mich auf den Weg nach Santa Barbara,  dort möchte ich in der Kirche eine Kerze anzünden. Leider wieder eine verschlossene Kirchentür. Wie es aussieht haben die Herrschaften wenig Gottvertrauen, weil sie ständig jedes Kirchlein abriegeln. Ich setzte mich auf eine Steinbank im Schatten, schließe die Augen und gerade als ich mich bei meinen Schutzengeln bedanken möchte, laufen die letzten Tage im Retourgang in meinem Kopf ab. Begegnungen, Eindrücke, Gerüche, Gesten,... alles mögliche taucht in Sekundenbruchteilen vor meinem geistigen Auge auf. Bis zu dem Moment, als ich meine Tochter auf der Kaiser Franz Josephs Höhe umarme, erlebe ich die letzten Tage in Kurzversion. 

Und dann ist es soweit.... das Ortsschild von Muggia und wenig später der letzte Checkpoint. Ich habe es tatsächlich geschafft!! Obwohl ich sonst sehr nahe am Wasser gebaut bin, halten sich meine Tränen in Grenzen. Ich würde die Gefühle die ich hatte am ehesten mit sehr, sehr glücklich,  tiefer Zufriedenheit, Dankbarkeit und einer inneren Ruhe und Kraft beschreiben.

Zur Belohnung, was denkt ihr, gibt's natürlich einen sauren Radler und dazu einen Toast.  Danach Abkühlung im Meer und eine Stunde Schlaf. Nach Kaffee und Gelati besuche ich die Kirche in Muggia und entzünde mit tiefer Dankbarkeit eine Kerze. Danach mache ich mich entspannt auf die Heimreise.

Und da sitze ich nun im Zug und lasse die letzten 19 Tage Revue passieren. 

Ich denke an die Landschaften,  die ich durchwandert habe.  Vom Gletscher, über die sanften Almwiesen, das wilde Socatal, die Weingärten des Collio und den Karst.

Ich denke an all die wundervollen Gewässer, in denen ich gebadet oder meine Füße gekühlt habe. Ob Brunnen, die klaren Seen Kärntens,  die eiskalte Soca oder das Meer,

Ich denke an die Begegnungen mit Tieren und die Warnungen vor ihnen. 

Ich denke an meine Unterkünfte. Von schön, bis liebevoll, bis ... na ja, Hauptsache ein Dach über dem Kopf.

Ich denke an Frühstück und Snacks und leckeres Abendessen

Ich denke an das unterschiedliche Wetter. Von stürmisch, kalt und regnerisch, bis unerträglich heiss.

Ich denke an entspannende aber auch an herausfordernde Momente, wie Sperren, Umleitungen, Katastrophen und Waldbrand.


Aber ganz besonders in Erinnerung werden mir die menschlichen Begegnungen bleiben. Ob Lary aus England noch immer wandert? Ob Jonas am Meer angekommen ist? Ob die drei Salzburgerinnen noch erlebnisreiche Tage bis Cividale hatten? Wie es wohl Petra und Susanne bei der Hitze ging?

Unvergesslich werden mir auf jeden Fall all die liebenswerten und fürsorglichen Engel bleiben, die ich auf meiner Wanderung getroffen habe. Erika vom Berggasthof Marterle, die mir das Frühstück schon um 06.00 Uhr gerichtet, und einen Gasofen an den Tisch gestellt hat. Martin vom Karlbauer, der für meinen gerissenen Rucksackträger ein Sortiment an dicken Nadel und Faden organisiert hat, bei dem ein Schneider erblassen würde. Auch hat er das Frühstück eher gerichtet, meine Trinkflasche ausgewaschen und mit hausgemachten Hollunder - Lavendelsaft gefüllt. Burgi, eine liebe Bekannte, die mich am Abend besucht und mir einen Schutzengel mitgebracht hat. Peter von der Falkerthütte, der mir trotz Renovierungsarbeiten nicht nur einen Zirbensaft gebracht hat, sondern auch einen wichtigen Tourentipp gegeben hat.

Der Koch vom Kärtnerhof,  der mir eine Banane und einen Becher frischer Beeren mitgegeben hat. Milena und Slavka, die mir in Kranjska Gora eine Unterkunft in Trenta organisiert haben. Lidija und Alenka, die mich wie eine Freundin empfangen haben. Besonders schön fand ich den Kaffee und den Brief, den ich um 05.00 Uhr am Abreisetag bekommen habe. Und dann waren noch all die Menschen, die mir Fragen beantwortet haben. Nach Wegen, Restaurants, Bushaltestellen, Ticketshops und mehr. 

 


Und dann waren da meine Familie und meine Freunde, die immer mit mir in Verbindung waren. Angerufen, geschrieben und sich gesorgt haben.  Meine zwei wundervollen Kinder, die heute zu Besuch waren, meine liebe Andrea, die mich heute spontan zu Hause mit Blumen und allerlei selbstgemachtem überrascht hat, meine hilfsbereiten Nachbarinnen, die sich um Katze und Gemüse gekümmert haben. Aber durch meinen Blog haben mir auch viele geschrieben, die ich nicht persönlich kenne.  Danke euch allen dafür. 

Wir fragen uns manchmal,  wie kann ein einzelner Mensch die Welt verändern? Ich darf euch dazu meine Sichtweise mitteilen. Mit jedem freundlichen Wort, mit jedem herzlichen Lächeln, mit jeder liebevollen und achtsamen Geste verändern wir die Welt. Auch wenn uns das nicht immer gelingt, sollen wir uns viel öfter daran erinnern.  

Wenn ich also in wenigen Worten zusammefasse, was mir durch diese Wanderung wieder sehr viel mehr bewusst geworden ist, dann ist es folgendes.

LIEBE zu meiner Familie und meinen Freunden.
BEWUSSTSEIN wie sehr wir auch mit kleinen Taten etwas verändern können. 
EHRFURCHT vor der Schöpfung und der Natur.
DANKBARKEIT dafür, was mein Körper täglich für mich leistet.
VERTRAUEN in das Leben und die Menschen. Alles ist gut wie es ist.

DANKE das ihr mich begleitet habt. 

Eure Barbara ❤